Im August 2020 soll die dritte Auflage des „Brockhaus der Unternehmenskommunikation“ erscheinen (für alle Digital Natives: das gedruckte Google, das bei Oma und Opa noch steht), das „Handbuch Unternehmenskommunikation“, diesmal herausgegeben von Zerfaß, Rolke und Röttger. Dieses zwei-Kilo-schwere Kompendium des gesammelten Wissens zum Thema instrumenteller Kommunikation in wirtschaftlichen Unternehmen ist ein herausragend teures und umfangreiches Buch.
Die über 1.300 Seiten der zweiten Auflage - die immerhin nur 299 Euro kostet - wirken recht erschlagend, wenn man vorhat, sie zu lesen. Daher habe ich das Werk in seiner Zweitauflage zum Objekt der Referate gemacht und konnte auf diese Weise im Wintersemester die erste Hälfte des Buches konsumieren und besprechen.
Der Schmöker besteht aus zehn Kapiteln, die jeweils als eigenes Buch herausgebracht hätten werden können. Jedes Kapitel bezieht sich auf den jeweiligen Aspekt in der Unternehmenskommunikation:
- Grundlagen
- Ökonomische, publizistische, rechtliche und ethische Rahmenbedingungen
- Soziologische, kulturelle und psychologische Dimensionen
- Analyse von Umfeld und Meinungsbildung
- Zieldefinition und Planung
- Instrumente und Plattformen
- Evaluation und Wertbestimmung
- Organisation, Outsourcing und Kompetenzmanagement
- Kommunikationsstrategien für zentrale Bezugsgruppen
- Konzepte für besondere Kommunikationssituationen
Grundlage des Buches ist die interdisziplinäre "Integrierte Theorie der Unternehmenskommunikation", die Ansgar Zerfaß seit seiner Doktorarbeit anno 1996 stetig (weiter)entwickelt hat. Die Betrachtung von Unternehmenskommunikation als wertschöpfende Funktion des Unternehmens, geteilt in die Kernbereiche Interne Kommunikation, Marktkommunikation und Public Relations (alles andere), stellt das Fundament für die weiteren Betrachtungen.
I. Die Basics des Fachbereichs Unternehmenskommunikation (UK) erläutern Theorien zu Kommunikation, Medien, Öffentlichkeit und zu sozialen Netzwerken. Es wird außerdem der Stand der Profession dargestellt (aus Zerfaß´s Umfrage European Communication Monitor).
II. Die Rahmenbedingungen der UK werden von Recht, Moral und Verantwortung (CSR) geprägt - dem Spannungsfeld zwischen Realität, Fiktion und fiktionaler Darstellung. Die Beziehung von Journalismus und UK stellt diese Aspekte stetig auf die Probe. Immerhin geht es um nicht weniger als den "guten Ruf".
III. Geisteswissenschaftlich wird die UK aus Sicht der Soziologie, Psychologie und Kultur betrachtet: Wollen wir den Diskurs oder die Täuschung, handeln wir instrumentell oder verständigungsorientiert? Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Reputation, Marken und die hohe Kunst der psychologischen Manipulation und Selbstdarstellung - das ist der Stoff, aus dem die Skandale sind.
IV. Ohne Maps keine Positionierung - die empirischen Methoden werden nicht alt. Sie sind unersetzlich, um zu wissen, wo wir stehen und was um uns herum passiert. Dabei kommt vor allem die klassische Inhaltsanalyse (Medienresonanz, Social Media) zum Einsatz, sowie die Befragung (Mitarbeiter, Stakeholder). In diesem Kapitel aber noch nicht als Evaluation oder zur Steuerung (folgt in Kapitel VII), sondern im angelsächsischen Sinne als Basis für die Planung.
V. Die klassische Konzeptionstechnik - sie heißt jetzt nach Zerfaß "Kommunikationsmanagement" - darf nicht fehlen und wird im fünften Teil kurz gestreift.
VI. Anwender werden im sechsten Teil konkretere Anregungen finden - Instrumente und Plattformen. Dabei bleibt alles auf einem eher theoretischen Niveau und recht oberflächlich. Interessant und erfrischend sind alte Disziplinen wie die Rede, "Live Communication" als der real erlebte Event und die Hervorhebung von Design, Ästhetik und der Inszenierung von ... sich selbst. Frei nach Erving Goffman: "Wir spielen alle Theater!"
Das Handbuch bietet einen Rundumblick über wichtige Aspekte der Kommunikation. Leider ist es auf Unternehmenskommunikation beschränkt und lässt damit andere Bereich wie Nonprofit oder Politik außen vor. Wer ist die klassische Zielgruppe des Buches? Ich denke eher diejenigen, die über den kostenlosen SpringerLink-Zugang ihrer Hochschule oder Universität verfügen. Für 300 Euro wird kaum ein Praktiker ein Buch kaufen, das zwar alles darstellt, aber doch weit entfernt von einem tatsächlichen Nachschlagewerk wie dem Brockhaus ist. Gleichzeitig stellt es nur ausgewählte Aspekte der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion dar - die Themenvielfalt und die Breite an Material ist mittlerweile erfreulich unübersichtlich (die PR-Wissenschaft wird langsam erwachsen).
Meine Studis kamen meist gut mit den Aufsätzen klar. Die Autoren sind alle namhafte Vertreter der Themenbereiche und die Beiträge sind verständlich geschrieben.
Die PR-Branche kann stolz darauf sein, dieses Kompendium zu haben. Und vor allem darauf, dass selbst auf über 1.300 Seiten noch immer nicht Alles erwähnt ist. Und das Beste: 2020 kommt die Neuauflage. Für schlappe 400 Euro - wer sich´s leisten kann....